Glück und gute Sterne: Yulianna Avdeeva im Interview
„Ohne Üben kann man das nicht treffen, was man mit seinem Spiel ausdrücken will. Man muss vorbereitet sein. Mit dem Kopf und mit dem Herzen.“
Yulianna Avdeeva, die Gewinnerin des Chopin-Wettbewerbs 2010 debütierte in Österreich - im Kristallsaal des Rothschild Schlosses in Waidhofen an der Ybbs und spielte auf einem unserer Bösendorfer 280 Concert Grand.
1965 bedeutete der Sieg beim Chopin-Wettbewerb in Warschau für Martha Argerich den endgültigen Durchbruch als international gefragte Konzertpianistin. 45 Jahre nach ihr gewann erneut eine Frau, die junge Moskauerin Yulianna Avdeeva. Adam Harasiewicz, ehemaliger Gewinner des Wettbewerbes, begründete seine Jury-Entscheidung mit den Worten: „Wenn jemand besonders im Stil von Chopin spielt, besonders poetisch, mit einem schönen Klang, dann ist es doch nicht so schwer zu sagen, wer ist besser.“
Avdeeva genießt die Freiräume in Chopins Musik, weiß damit umzugehen, ohne deren wahre Bedeutung zu verspielen. Ausgebildet in ihrer Heimatstadt Moskau an der renommierten Gnessin Musikschule, studierte Yulianna Avdeeva in Zürich und wurde Assistentin ihres Lehrers und Landsmannes Konstantin Scherbakov. Wichtige Anregungen erhielt sie zusätzlich von Vladimir Tropp und an der renommierten International Piano Academy Lake Como unter der künstlerischen Leitung von William G. Naboré.
Nach ihrem Konzert am 1. Mai im Kristallsaal führten wir mit Frau Avdeeva das folgende Gespräch:
Bruno Weinberger: Wann haben Sie das erst mal gespürt, dass da was ist mit Ihnen und der Musik? Yulianna Avdeeva: Meine Eltern waren keine professionellen Musiker. Sie haben zwar etwas Klavier gespielt und mein Vater ist ein großer Musikliebhaber mit einer umfangreichen Schallplattensammlung. So bin ich mit der Musik aufgewachsen, sie war immer präsent. Als ich fünf Jahre alt war, ist meine Mutter mit mir zur „Gnessin“-Schule in Moskau gegangen, um einen Aufnahmetest zu machen. Dort habe ich dann meine musikalische Ausbildung begonnen. Ich hatte das Glück, eine fantastische Lehrerin zu haben, Elena Ivanova. Bei ihr war ich 13 Jahr lang, bis zum Schulabschluss. Ich verdanke ihr sehr viel.
Bruno Weinberger: Wann entstand in Ihnen der Wunsch, eine klassische Pianistin zu werden?
Yulianna Avdeeva: Da hatte ich ein einschneidendes Erlebnis. Als ich 6 Jahre alt war hatte ich meinen ersten Auftritt, bei dem ich zwei Stücke von Tschaikowski spielte. Vor Publikum zu spielen – das fand ich einfach fantastisch. Ich konnte meine Begeisterung für die Musik mit Leuten, die ich nicht einmal kannte, teilen. Mit etwa 11 Jahren war mir klar, dass es für mich keinen anderen Weg gibt.
Bruno Weinberger: Sie haben schon mehrere Preise bei Wettbewerben gewonnen. Wie war es denn bei Ihrem letzten Sieg in Warschau, beim Chopin Wettbewerb? Warum glauben, Sie persönlich, dass Sie die Jury als Siegerin gewählt hat?
Yulianna Avdeeva: Das kann ich nicht beurteilen. Ich hatte sicher auch das nötige Glück und gute Sterne. Der Wettbewerb dauerte drei Wochen lang und ich hatte in Warschau eine wunderschöne Zeit verbracht. Dabei habe ich die Wettbewerbssituation eher verdrängt und nur an die Musik gedacht. Warschau ist eine besondere Stadt: Jede Straße in der Altstadt von Warschau erinnert an Chopin. Sogar den Salon im Haus seiner Eltern, wo er sein e-moll Konzert in der Quartettfassung uraufgeführt hat, kann man besuchen. Es war für mich wie eine Zeitreise. Diese leidenschaftliche Liebe dieser Stadt zu Chopins Musik spürt man überall, sogar auf den Straßen – ich finde das berührend und sehr inspirierend. Die Liebe zu Chopin mit dem Warschauer Publikum zu teilen, hat mir sehr geholfen den „Wettbewerbsstress“ auszublenden.
Bruno Weinberger: Wie viel haben Sie geübt als Kind und wie viel üben Sie heute?
Yulianna Avdeeva: Ich kann mich nicht erinnern, wie viel ich als Kind geübt habe. Um gut zu spielen muss man üben. Das ist Fakt. Als ich dann später mit neun Jahren angefangen habe, Konzerte zu spielen, habe ich verstanden dass Üben dazu gehört. Es ist sehr interessant! Üben ist wie forschen, suchen. Auf der Bühne ist es dann das Präsentieren – das Ergebnis. Üben findet im Kopf statt. Man kann ohne Klavier über den Noten sitzend und die Musik nur im Kopf klingend vieles erreichen. Ohne Üben kann man nicht das treffen, was man mit seinem Spiel ausdrücken will. Man muss vorbereitet sein. Mit dem Kopf und mit dem Herzen.
Bruno Weinberger: Würden Sie jungen Pianisten empfehlen, diesen konsequenten und harten Schule zu beschreiten?
Yulianna Avdeeva: Das Wichtigste ist, dass man die Musik liebt. Das Üben darf keine Belastung und nie Zwang sein. Mit ganzem Herzen muss man das Wesen der Musik lieben und alles was dahintersteckt: Leidenschaft, Freude, Spaß und kulturelle Hintergründe aus allen Richtungen der Kunst – das gehört alles zusammen. Unzufriedenheit, weil etwas nicht klappt, die gibt es immer. Schwere Perioden durchschreitet man, um danach stärker zu sein als vorher.
Bruno Weinberger: Wie kommt es, dass Sie so gut Deutsch sprechen?
Yulianna Avdeeva: Ich habe sechs Jahre in Zürich studiert und seit zwei Jahren lebe ich in München. Die deutsche Sprache hilft mir, wenn ich Stücke deutschsprachiger Komponisten spiele. Auch Franz Liszts Muttersprache war deutsch. Es ist wichtig, die Sprache zu verstehen. Musik ist mit Sprache eng verbunden – man lernt mit der Sprache die Phrasierung, die Idee des Komponisten besser zu verstehen.
Bruno Weinberger: Warum glauben Sie, dass die Popularmusik so viel mehr Fans hat als die klassische Musik und was könnte man dagegen unternehmen?
Yulianna Avdeeva: Ich sehe es als Aufgabe an, die klassische Musik zu verbreiten. Ich will als Künstler vor allen Dingen auch jungen Leuten die Werte der klassischen Musik vermitteln. Dazu gehört natürlich auch, dass Musik von Anfang an ein ganz wichtiger Bestandteil der Ausbildung an Schulen ist. Wichtig finde ich, dass Konzertprogramme gut gebaut sind und man sich innerhalb der verschiedenen Stilrichtungen klassischer Musik keine Grenzen setzt. So kann man versuchen, seinem Publikum den gesamten Reichtum der Klavierliteratur zu präsentieren.
Bruno Weinberger: Kennen Sie die deutsche Casting-Show DSDS? 6,3 Millionen sahen das Finale. Wär so etwas nicht auch anwendbar auf die klassische Musik?
Yulianna Avdeeva: Ich weiß natürlich was DSDS ist, habe es aber nie gesehen. Meiner Meinung nach kann und sollte man klassische Musik und Pop-Musik nicht miteinander vergleichen. Beides hat seinen Wert und beides verdient Respekt.
Bruno Weinberger: Wie würden Sie die unterschiedlichen Klangcharaktere der führenden Flügelhersteller beschreiben?
Yulianna Avdeeva: Jedes Instrument, auch von einem Hersteller, ist sehr individuell - wie auch die Menschen. Wichtig ist, dass man die Seele des Flügels versteht. Dann gibt er einem das zurück, was man ihm entlocken möchte. Der Klavierstimmer spielt dabei eine oft entscheidende Rolle. Ich finde es sehr wichtig, dass man genügend Zeit hat, mit ihm über die Wünsche und manchmal Probleme zu sprechen. Nur dann kann das Instrument optimal vorbereitet werden z.B. die Intonation, Ausgeglichenheit etc. Ihr Yamaha Konzertflügel in Waidhofen war übrigens wunderbar – sehr schön gestimmt und intoniert. Das Instrument hat für das Programm (Anm. d. Red: Chopin und Liszt) sehr gut gepasst.
Bruno Weinberger: Vielen Dank. Sie haben sich schon beim Chopin Wettbewerb für einen Yamaha CFX entschieden. Wie kam das?
Yulianna Avdeeva: Als ich ankam, musste ich aus vier Flügeln – Fazioli, Kawai, Steinway und Yamaha – in einer 15-minütigen Probe das Instrument auswählen, was mir am besten passt. Natürlich ist es nicht leicht, sich in so kurzer Zeit für genau einen Flügel zu entscheiden, aber in der Regel weiß man recht schnell, ob die Chemie mit dem Instrument stimmt oder nicht. Man weiß, welchen Klang man braucht und man wählt dann das Instrument, was dieser Vorstellung am nächsten kommt. Ich habe alle vier Flügel gespielt und der Yamaha war am überzeugendsten. Für Chopins Musik ist es extrem wichtig, dass der Flügel vor allem auch in der Mittellage gut trägt und man auf ihm „singen“ kann. Das hat für mich in diesem Fall bei Yamaha am besten gepasst.
Bruno Weinberger: Was denken Sie darüber, dass Yamaha Bösendorfer gekauft hat?
Yulianna Avdeeva: Yamaha macht sehr gute Flügel. Letzte Woche war ich in Moskau und habe dort einen neuen Yamaha CFX gespielt. Es war ein wirklich gutes Instrument. Ich schätze Bösendorfer sehr, habe die Instrumente aber leider selten in Konzerten gespielt. Bösendorfer hat eine beeindruckende Tradition. Ich bin sicher, dass Bösendorfer und Yamaha voneinander profitieren werden.
Bruno Weinberger: Was privates: Ich habe gesehen, dass Sie mit einem Ring am rechten Ringfinger gespielt haben. Sind Sie verheiratet?
Yulianna Avdeeva: Ja, bin ich. Wir haben uns an der Hochschule in Zürich kennen gelernt. Mein Mann ist auch Musiker.
Bruno Weinberger: Was machen Sie, wenn Sie sich nicht mit Klaviermusik beschäftigen – irgendwelche Hobbies?
Yulianna Avdeeva: Ich mache – wie die meisten anderen Menschen auch – viele verschiedene Dinge, die mich interessieren und die mir Spaß machen. Es fällt mir schwer, darunter ein Hobby auszumachen. Ich könnte mich auch gar nicht entscheiden, weil ich so viele Interessen habe. Ich lese viel und gerne. Aber Lesen kann man ja nicht als Hobby bezeichnen - oder?
Bruno Weinberger: Wie würden Sie Ihren Klang beschreiben – was macht Sie besonders?
Yulianna Avdeeva: Das ist eine Frage, die man über sich selbst kaum beantworten kann. Ich arbeite daran, dass mein Klang einen Inhalt hat, der zur Musik passt, die ich spiele, und der den unendlichen Ausdrucksmöglichkeiten Raum verschafft. Der Klang muss eine Botschaft vermitteln.
Bruno Weinberger: Was möchten Sie erreichen, was ist Ihr großes Ziel?
Yulianna Avdeeva: Wenn man über Wünsche spricht – werden sie nicht wahr. Darum sage ich lieber nichts.
Bruno Weinberger: Welche Projekte verfolgen Sie aktuell?
Yulianna Avdeeva: Ich freue mich auf viele spannende Konzerte und Programme in Europa und Asien. Im August gehe ich wieder nach Warschau, wo ich an einem Abend beide Chopin Klavierkonzerte mit dem Orchestra of the Age of Enlightment auf einem historischen Érard-Flügel aus der Chopin-Zeit spielen werde.
Bruno Weinberger: Da sind sie ja nicht viel zu Hause…
Yulianna Avdeeva: Es macht mir einfach Spaß Konzerte zu spielen und man lernt so viele interessante Menschen und Orte kennen. Es fasziniert mich, dass ich mit meinem Spiel zu Menschen sprechen kann, die ich nicht kenne und die mich nicht kennen. Die Musik stellt eine ganz besondere Verbindung mit diesen Leuten her.
Bruno Weinberger: Danke fürs Gespräch!
Bilder: Christine Schneider